Ratsantrag – Essbare Stadt Aachen
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und DIE Zukunft beantragen, im Rat der
Stadt Aachen folgenden Beschluss zu fassen:
Die Verwaltung wird beauftragt, ein Konzept zu erstellen, wie Aachen eine so genannte
„Essbare Stadt“ werden kann. Dafür sollen entsprechende Nutzpflanzen identifiziert und
gepflanzt werden, so dass eine signifikante Menge an essbaren Früchten und Nüssen im
Aachener Stadtgebiet wächst und bedarfsgerecht geerntet werden kann. Hierfür sollen Best-
Practice-Beispiele anderer Städte (z.B. Andernach, Oberhausen) als Vorbild dienen.
Alle Orte, Sorten und Erntezeiten sollen inventarisiert werden und mit einem Vermerk auf
einer digitalen Plattform (z.B. mundraub.org und/oder aachen.de) veröffentlicht werden. Die
Stadtverwaltung soll sich auch um einen Kontakt zur EU bemühen, da die Mitgliedschaft im
„edible cities network“ gefördert wird.
Hintergrund und Ausführung:
In Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung und der drohenden Klimakrise ist eine
lokale Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln in ausreichender Quantität und
Qualität eine enorme Herausforderung. Die Landwirtschaft gerät zunehmend durch sich
verknappende Ressourcen (Wasser, Dünger, Anbaufläche) unter Druck. Um weiterhin die
Ernährung der Bevölkerung zu gewährleisten sind deshalb neue Konzepte notwendig. Eines
davon besteht in der „Essbaren Stadt“, also dem Anbau von einfachen Lebensmitteln auf
urbanen Freiflächen zur partiellen Nahversorgung. Dieses wird bereits in anderen Städten
umgesetzt und soll zukünftig auch in Aachen Anwendung finden.
Für die Anpflanzung der Nüsse und Obst tragenden Bäume und Sträucher bieten sich
vornehmlich stark frequentierte öffentliche Grünflächen in Innenstadtnähe (Parkflächen,
Elisengarten, Büchel, Burtscheider Kurgarten, …) an. Jedoch sollten auch in den Stadtteilen
bzw. Randlagen auf geeigneten Flächen Pflanzungen vorgenommen werden, um auch sozial
schwache Bevölkerungsgruppen teilhaben zu lassen. Eine gewisse Nähe zu Grundschulen
und Kindertagesstätte ist ebenfalls vorteilhaft, um Lernräume für Kinder zu schaffen.
Idealerweise könnte das Projekt seitens der Stadt auch mit einem entsprechenden
Bildungsprogramm ergänzt werden.
I. Ökologische Vorteile
Mit dem Anbau von Lebensmitteln im urbanen Gebiet können Lieferungen partiell substituiert
werden, so dass Emissionen durch Transport, Verteilung und Aufbewahrung entfallen.
Zudem kann durch geschickte Anlage der Grünflächen die Biodiversität gesteigert [Kaiser,
2017] [Daniels et al., 2020] und die Funktionalität der Vegetation erhöht werden [UBA, 2018].
Damit kann letztlich die Grüne Infrastruktur Aachens gefördert werden, die in ihrer Summe
ein Baustein einer vorteilhaften Stadtplanung ist [EU Komm., 2016] [Volt,2021].
II. Vorteile der Stadtentwicklung
Die Wertsteigerung genutzter und ungenutzter Grünflächen im Stadtgebiet kann zu einem
erhöhten Wohlbefinden der Aachener Bürgerinnen und Bürger führen [UBA, 2020].
Insbesondere die Gestaltung von frequentierten Parkflächen bietet die Möglichkeit, durch
gezielte Wahl der Vegetation die Wertigkeit zu erhöhen.
III. Bezug zur Ernährung und Lerneffekte
Einer der Kernpunkte des Konzepts „Essbare Stadt“ ist der kostenfreie Zugang zu
hochwertigen, gesunden Lebensmitteln wie Obst, Gemüse und Nüssen. Dies ist
insbesondere für unterprivilegierte Gruppen von Vorteil. Durch kurze Zeiträume zwischen
Ernte (hier: Aufsammeln oder Pflücken) und Verzehr besteht zudem kein Qualitätsverlust
durch Transport und Lagerung. Außerdem besteht ein direkter Beitrag zur Förderung des
Bewusstseins für nachhaltige Ernährung durch die unmittelbare Erfahrung von Anbau und
Ernte [Kaiser, 2017].
Hinweis: Die Steuerung der Ernte kann durch ein einfaches Ampelsystem erfolgen: Rot:
Obst/Gemüse ist noch nicht reif und darf nicht geerntet werden. Gelb: Ernten nur bei Hunger.
Grün: Erntezeit.
IV. Umsetzung in Andernach
In der Stadt Andernach wird bereits seit 2010 im Rahmen des Projekts „essbare Stadt“ die
Nutzung von öffentlichen Grünflächen für den Anbau von Gemüse und Beeren verwirklicht.
Die Erfahrung, die dort gewonnen wurden, können auch für Aachen als Best Practice-
Beispiele für die Umsetzung dienen. Zunächst wurde das Projekt dort „top-down“ von der
dortigen Verwaltung aufgesetzt und später erst als „bottom-up“ von der Zivilgesellschaft
weiterentwickelt, nachdem das Projekt in der Bevölkerung wahrgenommen worden war. Die
geschaffenen Flächen werden zusehends als Kommunikationsraum erfahren. Die Steuerung
der Ernte erfolgt durch ein einfaches Ampelsystem: Rot: Obst ist noch nicht reif und darf
nicht geerntet werden. Gelb: Ernten nur bei Hunger. Grün: Erntezeit [Kosack].
Mit freundlichen Grüßen
V. Quellennachweis
[Daniels et al.] Daniels, B., Jedamski, J. Ottermanns, R., Ross-Nickoll, M., A „plan bee“ for
cities: Pollinator diversity and plant-pollinator interactions in urban green spaces. PLoS One
15(7), 2020.
[EU Komm.] Europäische Kommission, Supporting the Implementation of Green
Infrastructure, 2016.
[Kaiser] Kaiser, M., Werkstätten des Wandels? Essbare Städte und ihr Beitrag zur sozial-
ökologischen Transformation, in: Markus Keck, Heiko Faust, Michael Fink, Max Gaedke,
Tobias Reeh (Hg.): Transformationsräume. Lokale Initiativen des sozial-ökologischen
Wandels, ZELTForum – Göttinger Schriften zu Landschaftsinterpretation und Tourismus,
Band 9, 62, 2017.
[Kosack] Kosack, L., Essbare Stadt Andernach,
https://www.andernach.de/formulare/formulare-4/essbare-stadt-andernach-text.pdf?cid=85g
[UBA I] Umweltbundesamt, Nischen des Ernährungssystems: Bewertung des
Nachhaltigkeits- und Transformationspotenzials innovativer Nischen des Ernährungssystems
in Deutschland, in: Zwischenbericht im Rahmen des Vorhabens „Sozial-ökologische
Transformation des Ernährungssystems – Politische Interventionsmöglichkeiten auf Bais
aktueller Erkenntnisse der Transformationsforschung“, 2020.
[UBA II] Umweltbundesamt, Böhme, C., Franke, T., Preuß, T., Schwarze, K., Winkler-
Kühlken, B., Schipperges, M., Möglichkeiten der verstärkten Nutzung von Synergien
zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit in Programmen wie der „Sozialen Stadt“,
in: Umweltforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare
Sicherheit, 74, 2018.