Stellungnahme Luftreinhalteplan

Stellungnahme Luftreinhalteplan

Die Stadt und die Bezirksregierung Köln überarbeiten aktuell den Luftreinhalteplan für Aachen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung haben wir der Bezirksregierung Köln folgende Stellungnahme übermittelt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine neue Untersuchung von Wissenschaftlern um Michael Greenstone vom Energy Policy Institute der University of Chicago kommt zu dem Schluss, dass schlechte Luft das Leben von Milliarden Menschen auf der Erde im Schnitt um rund 2,2 Jahre verkürzt. In Deutschland beträgt der Verlust an Lebenszeit lt. dieser Studie je Person weniger als drei Monate. [1] Für die Aachener Bevölkerung von ca. 250.000 Personen summiert sich dieser Lebenszeit-Verlust unter aktuellen Bedingungen auf max. 62.500 Jahre.
Der vorliegende Luftreinhalteplan sollte deshalb nicht auf die alleinige Einhaltung der Luftschadstoff-Grenzwerte ausgerichtet sein, denn jede Feinstaub-Belastung oder Luftbelastung – auch unterhalb von Grenzwerten – sorgt für gesundheitliche Folgen bei den Aachenern.

Die Minderung der Emissionen ist ein zentrales Element der europa- und bundesweiten Luftreinhaltepolitik, dies geschieht auch ohne städtischen Einfluss.

Auch wenn Aachen in Bezug auf Feinstaubbelastung auf einem guten Weg ist, kommt es im Stadtgebiet und Randgebiet immer noch zu Tagen mit hohen Belastungen bei Luftschadstoffen, insbesondere NO2. Im Corona-Jahr 2020 wurde an allen Messstellen stadteigene und LANUV der festgelegte Grenzwert eingehalten.

Ziel des Luftreinhalteplans sollte es sein, die Luftqualität in Aachen langfristig und dauerhaft in der Qualität zu verbessern. Eine gute Luftqualität für alle Bürger, und nicht nur die Einhaltung von festgelegten Grenzwerten an festgelegten Messpunkten sollte Ziel des Luftreinhalteplans sein. Dies gilt insbesondere für des Schadstoff NO2, für den bisher kein Schwellenwert ermittelt werden konnte, bei dessen Unterschreiten langfristige Wirkungen auf den Menschen ausgeschlossen werden können.
Bereits im November 2018 legte die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin ein Positionspapier vor, in dem ausführlich auf nachgewiesene gesundheitliche Auswirkungen von Luftschadstoffen auf den Atemtrakt, das Herz-Kreislauf-System, den Stoffwechsel, den Fötus in der Schwangerschaft sowie potentiell auch auf die neuro-logische Entwicklung in Kindheit und Alter eingegangen wird. Eine der Schlussfolgerungen der Autoren: „Negative Gesundheitseffekte treten auch unterhalb der derzeit in Deutschland gültigen europäischen Grenzwerte auf. Bisher konnte für die wissenschaftlich gut untersuchten Schadstoffe keine Wirkungsschwelle identifiziert werden, unterhalb derer die Gefährdung der Gesundheit ausgeschlossen ist.“ [4] Das Risiko durch Exposition sei somit so gering wie möglich zu halten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt zum Teil die Einhaltung deutlich geringere Grenzwerte bei den Luftschadstoffen. So wird für Feinstaub (PM2,5) beispiesweise ein Grenzwert von 10 μg/m³ empfohlen, im Luftreinhalteplan wird abweichend ein Grenzwert von 25 μg/m³ berücksichtigt.
Da das Risiko durch Exposition so gering wie möglich zu halten ist, sollten die Belastungen aller Luftschadstoffe im Luftreinhalteplan aufgenommen werden, auch wenn diese gerade aktuelle „Grenzwerte“ unterschreiten.
In der Schweiz gilt beispielweise für NO2 ein Langzeit-Grenzwert von 30 μg/m³ statt 40 μg/m³.

Die EU will im kommenden Jahr die Grenzwerte einzelner Luftschadstoffe in Anlehnung an die Grenzwerte der WHO verschärfen. Statt bisher 40 empfiehlt die WHO weltweit nur noch maximal 10 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt. Eine drastische Reduzierung: Alle Messstellen an deutschen Straßen liegen weit darüber, selbst auf dem platten Land wird dieser neue Wert fast nirgends eingehalten. Die wenigen Ausnahmen liegen am Meer oder in dünn besiedelten Mittelgebirgen.
Dabei ist Stickoxid noch das kleinere Problem: Viel einschneidender dürften sich die neuen WHO-Empfehlungen für Feinstaub auswirken, vor allem für die besonders kleinen, PM 2,5 genannten Partikel. Nur noch fünf Mikrogramm pro Kubikmeter empfiehlt die WHO (WHO bisher 10 μg/m³, Luftreinhalteplan 25 μg/m³). Unter dem Grenzwert von fünf Mikrogramm pro Kubikmeter lag selbst im Corona-Jahr 2020 nur eine einzige deutsche Messstation: der unbewohnte, 600 Meter hohe Hortenkopf mitten im Pfälzer Wald. [6]
Da NO2 als ein gesundheitlicher Indikator für verkehrsbedingte Emissionen gilt, werden durch Verminderung der NO2-Einträge in die Umwelt auch andere wirkungsrelevante Schadstoffe aus dem Straßenverkehr verringert [3].

An der Messstelle „Wilhelmstraße“ betragen die Konzentrationen von NOx tagsüber z.B. immer noch mehr als 140 Mikrogramm je m³ Luft.  Um es nochmal deutlich zu sagen: Stickoxide und Feinstaub verursachen Lungenkrankheiten inkl. Krebs, daher verbietet sich eine Grenzwertdiskussion. Ggf. werden diese „Grenzwerte“ zukünftig bundespolitisch oder EU-weit neu festgelegt.
Weitere Luftschadstoffe wie Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid, bodennahes Ozon und Formaldehyd sind insbesondere in Zusammenhang mit dem Verkehr ebenfalls kritisch zu sehen.
Schon in den 1990ger Jahren wurden darüber hinaus auch die Messverfahren kritisiert, so hat Greenpeace beispielsweise Messungen „in Kindernasenhöhe“ durchgeführt. Je näher die Messung – oder die Nase – an die Auspuffhöhe rückt, desto größer sind schadstoffabhängig etwaige gesundheitliche Gefährdungen.
Ggf. treten in der Stadt in wenig oder schlecht durchlüfteten Zonen noch deutlich höhere Schadstoffkonzentrationen auf. Ggf. können mobile Messungen „in Kindernasenhöhe“ zu Validierung der Messdaten vorgenommen werden.

Allen Beteiligten der Verkehrspolitik sollte seit dieser Zeit in Aachen klar sein, dass ein Wende in der Verkehrspolitik nur durch „push- und pull“-Modelle (vgl. Aachener Mobilitätskonzepte seit den 1990gern) funktioniert. Auf der einen Seite muss der Autoverkehr (und die LKW) aus der Stadt herausgehalten werden, auf der anderen Seite müssen umweltfreundliche Verkehrsmittel (insb. Fußgänger / Fahrrad / Bus) attraktiver gemacht werden. Hier müssen klare Zielvorstellungen definiert werden, und diese Ziele sind ambitioniert zu formulieren.

Wesentlich ist der Beschluss eines Budgets im Aachener Haushalt. Das Budget zur Förderung der Infrastruktur für Radverkehr ist festzulegen und jährlich zu erhöhen.
In den Niederlanden werden kommunal etwa 30 €/a für jeden Bürger in den Radverkehr investiert, Aachen ist hier auf einem guten Weg.

Im Stadtgebiet Aachen liegt bezüglich Feinstaub und NOx eine Hintergrundbelastung durch den benachbarten Braunkohletagebau, insbesondere Garzweiler und Hambach, vor. An der Messstelle „Burtscheid“ wurde 2019 ein Tagesmittel von ca. 10 Mikrogramm je Kubikmeter Luft ermittelt. Wird dies als Hintergrundbelastung gewertet, schöpft dies den Grenzwert von 40 mg bereits zu 25 % aus.
Im Sinne des Luftreinhalteplans sollte sich die Stadt Aachen verpflichten, politisch und öffentlich für eine zeitliche Begrenzung des Tagesbaus einzutreten. Hierzu sind z.B. Pressemitteilungen, Veranstaltungen und Absichtserklärungen der Stadt, auch in überregionalen Gremien, wie z.B. dem deutschen Städtetag und der stadteigenen Betriebe, z.B. STAWAG erforderlich. Der Zusammenhang von Tagebau und schlechter Luftqualität in Aachen ist hierbei herzustellen. Die STAWAG wird nach Möglichkeit angewiesen, auf einen Ankauf von Strom aus Kohlekraftwerken zu verzichten. Es dürfen seitens der Stadt und der städtischen Unternehmen zukünftig keine Beteiligungen an Kohlekraftwerken vorgesehen werden.
Die Erklärungen der Stadt Aachen hinsichtlich des Atomkraftwerks Tihange sind für den politischen Kurs der Stadt hinsichtlich des Weiterbetriebs der Braunkohlekraftwerke der Region vorbildhaft.
Im Unterschied zur Atomkraft haben die Braunkohlekraftwerke leider schon im Normalbetrieb große direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebenserwartung der Aachener Bürger*innen.
Die NOx-Grenzwert-Diskussion darf vor der Kohlekraft keinen Halt machen, die Bezirksregierung sollte prüfen, ob Grenzwertverschärfungen für die Abgasemissionen der Kraftwerke der Region durchsetzbar sind.
Die Braunkohlekraftwerke müssen die Standards der EU-Vorgaben hinsichtlich Entstickung lt. einem von der deutschen Umwelthilfe und der Klima-Allianz in Auftrag gegebenem Rechtsgutachten seit August 2021 einhalten [2]. Dies bedeutet für Braunkohlekraftwerke gegebenenfalls eine aufwendige Nachrüstung. Wenn Braunkohlekraftwerke im Zuge des Kohleausstiegs noch mehrere Jahre laufen sollen, sollte ein Katalysator eingebaut werden, mit dem ein NOx-Grenzwert von 85 mg/Nm3 eingehalten werden kann. Braunkohlekraftwerke, die bis zum 1. Januar 2022 stillgelegt werden, sollten 175 mg NOx/Nm3 einhalten und Kraftwerke, deren Stilllegung bis  1. Januar 2026 erfolgt, 150 mg NOx/Nm3.
Die Stadt Aachen und die Bezirksregierung Köln sollten sich hier positionieren.

Zusammenfassung:

Die schlechte Luftqualität in Aachen hat derzeit trotz Einhaltung von Grenzwerten  negativen Einfluss auf die Gesundheit der Aachener. Ziel des Luftreinhalteplans sollte nicht das „knappe“ Einhalten politisch (variabel) festgesetzter Grenzwerte sein, sondern der Schutz der Gesundheit der Aachener*innen.

Hierzu sehen wir primär 2 erforderliche Maßnahmen:

1) Zusätzlich zu den im Luftreinhalteplan beschriebenen Maßnahmen und der erwarteten emissionstechnischen Optimierung des PKW- und LKW-Verkehrs, insbesondere Dieselfahrzeuge, ist ein verbindliches Budget im städtischen Haushalt geschaffen worden, den umweltfreundlichen Verkehr attraktiver zu gestalten. Hierbei ist langfristig eine wie in der Niederlanden übliche Investition von derzeit etwa 30 €/ Einwohner anzustreben. Eine Zielgröße zum Model-Split-Anteil des Radverkehrs in Aachen (derzeit 11 % lt. Zählung 2011, in Münster in der Größenordnung von 37 %)[5] ist zu definieren. Zu den  Maßnahmen zur Verkehrswende ist ein Monitoring-System zu schaffen mit dessen Hilfe die Reihenfolge der Umsetzung verbindlich festgelegter Maßnahmen kontoliiert wird. In diesem Rahmen sind ggf. Nachjustierungen vorzunehmen.

2) Das Aachen umgebene Braunkohlerevier hat entscheidenden negativen Einfluss auf die Luftqualität in Aachen und die Gesundheit der Aachener. Die Erklärungen der Stadt Aachen hinsichtlich des Atomkraftwerks Tihange sind für den politischen Kurs der Stadt hinsichtlich des Weiterbetriebs der Braunkohlekraftwerke der Region vorbildhaft. Die Stadt und die Bezirksregierung sollte zukünftig auch hier Ihren politischen Einfluss nutzen und auf eine frühestmögliche Abschaltung der Braunkohlkraftwerke in der Umgebung und auf eine sofortige Verschärfung der Grenzwerte hinsichtlich der Abgasemissionen hinwirken.

[1] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/luftverschmutzung-verkuerzt-das-leben-von-milliarden-menschen-a-40ba61ba-b4b0-4e77-9428-7e03c2407831, 1.9.2021
[2] https://www.klima-allianz.de/fileadmin/user_upload/Gutachten_EU_Stickstoff-Grenzwerte_f%C3%BCr_Kohlekraftwerke_-_Gesetzgeberischer_Spielraum_und_Grenzen.pdf, 2.9.2021
[3] LRP Aachen– 3. Fortschreibung 2021
[4] Holger Schulz, Stefan Karrasch, Georg Bölke, Josef Cyrys, Claudia Hornberg, Regina Pickford, Alexandra Schneider, Christian Witt, Barbara Hoffmann: Positionspapier – Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit. In: pneumologie.de. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, 27. November 2018, abgerufen am 4. Februar 2019.[5] https://www.aachen.de/de/stadt_buerger/verkehr_strasse/verkehrskonzepte/radverkehr/zaehldaten/index.html, 3.9.2021
[6] https://www.zeit.de/2021/39/who-luftqualitaet-grenzwerte-stickoxid-feinstaub-autobahn-deutschland, 4.11.2021

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